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Datum: 18.11.1998,
Ressort: Wissenschaft
Autor:

Frank Grotelüschen

Siliziumchip mit Geschmackssinn
Texanische Forscher entwickelten einen elektronischen Aromasensor, der ähnlich wie die menschliche Zunge funktioniert

URL:http://www.BerlinOnline.de/archiv/berliner_zeitung/?dump=541705&TEXT1=Neikirk&TEXT2=Neukirch&TEXT3=&TEXT4=

Dean Neukirk stöhnt, als er die Tür zu seinem Büro aufschließt.
Der Anrufbeantworter quillt fast über; auf dem Band reihen sich die Interview-Anfragen.
Vor wenigen Tagen hatte die Texas Unversity in Austin die Pressemitteilung herausgegeben, nun rennen die Medien dem Elektronik-Professor fast die Türen ein.
Der Grund für das öffentliche Interesse: Neukirk und seine Kollegen haben eine elektronische Zunge entwickelt, die den Geschmackssinn des Menschen bei einigen Aufgaben sogar übertrifft. Während künstliche Nasen schon heute in der Parfümindustrie nach edlen und weniger edlen Düften schnüffeln, wird die künstliche Zunge noch in Forschungslabors erprobt.
Das texanische Konzept orientiert sich weitgehend an den Vorgaben der Natur.
Im Mund des Menschen dienen Geschmacksknospen, eingelagert in die zungentypischen "Papillen", als chemische Sensoren.
Ganz ähnlich funktioniert der Elektro-Schlecker aus Austin: "Wir benutzen winzige Perlen mit dem Durchmesser eines menschlichen Haares", sagt Dean Neikirk."Diese Perlen eignen sich hervorragend als Träger für chemische Sensoren, die an die jeweiligen Aromamoleküle andocken."Um ihre Geschmacksperlen verankern zu können, entwickelten die US-Forscher künstliche Poren, in die die Perlen genau hineinpassen.
Die Poren sind winzige, schachbrettartig angeordnete Löcher auf einem Siliziumchip.
Dieser enthält auf einer Fläche von einem Viertel Quadratzentimeter rund hundert Vertiefungen.
In jeder dieser Poren steckt eine Perle mit einem anderen chemischen Sensor, der mit einem jeweils anderen Geschmacksstoff chemisch reagiert.Ähnlich wie beim natürlichen Organ sind auch bei dem Sensor verschiedene Bereiche für die vier grundsätzlichen "Geschmacksqualitäten" zuständig: süß, sauer, salzig und bitter.
Gießt man nun beispielsweise Bier über den Chip, so schlagen einige der "schmeckenden Kügelchen" an, andere hingegen nicht.
Das Entscheidende: Sämtliche Sensoren sind mit Farbstoffen gekoppelt.
Wenn ein Aromastoff an einen Sensor andockt, ändert auch der Farbstoff seine Eigenschaften und damit seine Farbe.
Sobald also die zu analysierende Flüssigkeit den Chip benetzt, bildet sich auf dessen Oberfläche ein charakteristisches Farbmuster, das die Geschmacksinformation über das Test-Naß enthält.
Um das "aromatische Farbenspiel" abzurufen, bestrahlen Neukirk und seine Mitarbeiter ihren Sensorchip mit einer Lampe; ein handelsüblicher CCD-Chip, wie er sich in den meisten Digitalkameras befindet, nimmt das Muster auf und leitet es an einen Computer weiter.
Dieser reagiert bisher nur mit abstrakten Kurven auf das angebotene Aroma zu einer vollständigen, an die jeweilige Anwendung angepaßten Geschmacksanalyse ist die elektronische Zunge aus Texas derzeit noch nicht in der Lage."Aber genau da wollen wir hin", betont Neikirk."Bislang sehen wir nur die Rohdaten auf dem Computerbildschirm.
Im nächsten Schritt sollen Bilderkennungssysteme und intelligente Programme die komplexen Leuchtmuster analysieren, um dann zeigen zu können, womit man es wirklich zu tun hat."Wenn man so will, fehlt der elektronischen Zunge noch das "Gehirn", das entscheidet, ob etwas nun delikat schmeckt oder aber scheußlich.
Aber für manche Aromen erreicht das System bereits heute die Fähigkeit der menschlichen Zunge, etwa beim Schmecken saurer Aromen.
Das Ziel der Forscher ist ein praxistaugliches, taschenbuchgroßes System, das zum Beispiel die Testschmecker in der Lebensmittelindustrie ersetzen oder ergänzen könnte.
Und: "Wir wollen auch die Flüssigkeiten analysieren, die man mit seiner eigenen Zunge nie untersuchen würde zum Beispiel Blut und Urin", betont Neikirk."Unser System dürfte sich insbesondere für die rasche Analyse von Stoffwechselprodukten eignen, etwa für einen schnellen Drogentest."Rekorde in Sachen Nachweisempfindlichkeit wird die Elektro-Zunge aus Austin jedoch nicht aufstellen können."Da sind andere chemische Analysemethoden wesentlich empfindlicher", gibt Neikirk zu."Aber im Vergleich zu den Präzisionsmethoden ist unser System viel einfacher und schneller, und für die meisten Anwendungen dürfte es auch exakt genug sein." Eine Sache allerdings dürfte Neikirk auf dem Weg zur Kommerz-Zunge Probleme bereiten."Saures ist ziemlich einfach zu analysieren; da reichen schon ein bis zwei Sensoren", erläutert er.
Auch die Suche nach Zuckern und Salzen scheint mit einer überschaubaren Anzahl von Sensoren möglich zu sein.
Heikel wird es jedoch bei bitter."Es hat sich herausgestellt, daß dabei sehr viele chemische Komponenten mit im Spiel sind.
Wir werden also auch sehr viele Sensoren brauchen, um wirklich alle Stoffe abdecken zu können, die der Mensch als bitter empfindet."




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